Zuerst einmal ein herzliches Dankschön. Es gilt jenem schreibenden Kollegen, der unlängst folgenden Tweet in die Welt schickte: „Ramschstatus – Unwort der Woche“, stand dort. Diese Feststellung ist wichtig und richtig. Einerseits. Andererseits finde ich sie auch unfair, denn Ramsch ist jetzt lange genug negativ konnotiert worden.
Um diesen Gedanken zu präzisieren, muss ich allerdings ein bisschen weiter ausholen. Zuerst zu einem Blick nach Ungarn. Das Land ist neuerdings ganz offiziell Ramsch. Nicht wegen seiner demokratischen Defizite, nein, wegen seiner Kreditwürdigkeit. Ungarn wurde von der Ratingagentur Moody’s „auf Ramschstatus heruntergestuft“. Ungarn ist jetzt Ba1, was auch immer das heißen mag. Es ist selbstverständlich keine gute Note, und aus österreichischer Sicht ist sie obendrein pikant.
Die Abstufung erfolgte nämlich just in jenen Tagen, in denen die hiesige Großbank Raiffeisen 320 Millionen Euro Verlust in Ungarn bekannt geben musste. Für weitere Zusammenhänge empfiehlt sich ein Blick auf ein Video, das Dank Youtube immer noch nicht in Vergessenheit geraten ist.
Es zeigt einen Werbefilm von Raiffeisen auf Ungarisch – und darin ist zu sehen, wie einfach es vor ein paar Jahren noch war, in Ungarn Kredite für Immobilien zu bekommen. Der Kreditnehmer will von seiner finanziellen Lage erzählen, die Dame der Bank hält sich die Ohren zu, und beginnt zu singen. Halt deinen Mund lieber Kreditnehmer, lautet die Botschaft. Wir geben dir dein Geld auch ohne groß nachzufragen.
Zuerst wird dir Ramsch angedreht, dann wirst du zu Ramsch erklärt
Das Perfide an diesem Clip erschließt sich erst im historischen Kontext. Hier wurde versucht, mit dem Versprechen von unendlich viel Geld für alle noch mehr Geld zu machen. Das hat nicht funktioniert. Und als wäre es nicht Hohn genug gewesen, den Leuten Ramsch anzudrehen, wird nun obendrein ihr Land zu Ramsch erklärt.
Dahinter steckt auf den ersten Blick so viel Zynismus, dass einem schlecht werden könnte. Beim zweiten sollte man dann an den eingangs erwähnten Tweet denken. Ramsch ist nur ein Wort, das von Ratingagenturen und Bankern zum inflationären Unwort entstellt wurde. Und dabei vergessen wir, wie nahe wir alle schon am Ramschstatus leben.
Alles ist Ramsch. Na und?
Musik ist offiziell Ramsch, wie der Launch des Dienstes Spotify nun auch in Österreich zeigt. Dieser Text ist Ramsch, sobald er veröffentlicht wird. Nahrung ist Ramsch, die uns immer fetter werden lässt. Und haben wir nicht letztens von Schirrmacher gelernt, dass auch Demokratie Ramsch ist?
Nur: Wenn denn schon alles Ramsch ist, dann sollten wir auch dazu stehen, oder? Mit einem gestreckten Mittelfinger in Richtung all jener Vorgänge, die wir nicht verstehen und die vermeintlich unsere Existenzen bedrohen. Und Ramsch vielleicht als Stilmittel wie im Pop begreifen, der einem in seiner Oberflächlichkeit immer dann als beste Projektionsfläche dient, wenn es ums scheinbar Eingemachte geht. Aus dem Ramsch, dem Wertlosen, dem Abgefuckten ist immerhin der Rock’n’Roll entstanden – das noch immer erfolgreichste Lebensgefühl, das uns aus dem 20. Jahrhundert geblieben ist.
Ramsch darf so gesehen nicht länger eine Note bleiben, mit der Ratingagenturen auf alle hintreten, die längst auf dem Boden liegen. Also solches bleibt es tatsächlich beim Anwärter auf das Unwort des Jahres. Da es aber auch bedeutet, nichts mehr verlieren zu können, ist es vielleicht die einzige Chance, die uns bleibt.
Dieser Artikel erscheint auf im Debattenportal The European.
Foto: Bradley Gordon, Lizenz: CC BY 2.0