Diese Woche war im SPIEGEL ein sehr eloquenter Essay von Elke Schmitter zu lesen. „Dateien kann man nicht lieben“ hieß er, der Titel weist schon die Fährte: Früher, so Schmitter, habe man Musik noch auf sinnlichen Tonträgern konsumiert. Die Nadel senkte sich in die Rille, es knisterte, es knarzte, dann kam die Musik – in einer Form und mit einer Aura versehen, die bis heute unübertroffen ist.
Heute ist Musik eine Datei, unendlich oft zu vervielfältigen, in nahezu unendlicher Vielfalt verfügbar, losgelöst von Zeit und Raum. Das, so Schmitter, löse „keine Gefühle aus – keinen Besitzerstolz, keine Erinnerung, keinen Genuss beim Betrachten, Verschönern, Pflegen, Verschenken.“ (Zitat via hier, der Artikel ist nicht zu verlinken)
Da ist es also wieder, das verklärte Gestern, das einem in Diskussion um die diversen Paradigmenwechsel begegnet, mit denen uns der digitale Wandel unseres Lebens konfrontiert. Dieses Gestern ist nirgendwo so präsent wie beim Wandel unseres Musikkonsums. Jahrzehntelang haben wir verdammt viel Geld für Musik ausgegeben, zuerst für Vinyl, dann noch einmal für Compact Discs. Musik auf Tonträgern zu besitzen beanspruchte Zeit, Geld und Wohnraum. Und heute können wir uns das ganze Zeug streamen lassen, um einen Bruchteil des Geldes, wenn wir diesseits des Gesetzes stehen, um gar keines auf der anderen Seite.
Was kein Ding ist, kann keine Aura haben.
Was früher als Zeuge eines versierten Musikgeschmacks im Regal stand, kommt heute aus der Datenwolke. Es ist kein Ding mehr. Es lässt sich nicht angreifen, sondern nur mehr hören. Und das, so liest man nun auch bei Schmitters wieder, komme auch dem Verlust der oben nacherzählten Aura gleich.
Nicht, dass ich wertstiftende Wirkung dieser Aura irgendjemandem nehmen möchte. Sie wirkt nur oft wie ein vorgeschobenes Argument für die These, dass früher alles besser gewesen ist. Und das bleibt dann meistens ein Schönreden der persönlichen Biografie.
Mag sein, dass ich zu wenig Vinyl-LPs besitze, um darüber zu referieren. Und mag auch sein, dass ein seit fast zwei Jahren defekter Plattenspieler einen nicht zum Tonträger-Fetischisten stempelt. Doch immerhin, während ich das schreibe, steht ein Regal mit gut 2000 Compact Discs hinter mir. Viele davon sind mir völlig egal. Von manchen davon weiß ich wahrscheinlich gar nicht mehr, dass ich sie besitze. Wann ich zuletzt eine rausgeholt und gehört habe, lässt sich nicht sagen. Und das Projekt, sie allesamt in meine Musikbibliothek zu importieren, habe ich frühzeitig wieder abgebrochen.
Wenn das ein Abbild meiner Biografie ist, hat sie keine Bedeutung, nicht einmal persönlich. Aber das ist nur eine Frage des Blickwinkels. Wenn einen der Umstieg auf die Datei als Quelle der täglichen Lieder etwas lehrt, dann den Umstand, dass man sich die Bedeutung von Musik immer noch selbst stiftet.
Ich liebe keine Dateien – ich liebe Lieder
Ich habe weder das Bedürfnis, Dateien zu lieben, noch das Bedürfnis, Schallplatten zu liebkosen. Ich liebe manche Songs, egal, sie nun aus einem Radio tönen oder aus meinem Mobiltelefon. Wenn ein Song gut ist, packt er mich, rührt mich zu Tränen, was auch immer.
Und die Songs, die mich seit ein paar Tagen packen, erscheinen übrigens absurderweise nur auf Vinyl. Wie ich im entsprechenden Mail dazu lese, wird „So a scheena Dog“ von Ernst Molden – dem vielleicht besten Chronisten der Stadt, in der ich lebe – in einer Auflage von 1000 Stück gepresst, und aus. Ich werde keines davon besitzen, weil ich von jemandem, der weiß, was mir gefällt, vorab mit einer CD-Version im schmucklosen und von jeder Aura befreiten Karton-Schuber beschenkt wurde. Und ich werde die Lieder darauf sicher oft hören.
Womit ich meinen Zugang zur Aura der Musik für heute endgültig definiert hätte: Ich schließe diesen Text mit ein paar Zeilen der Freude über ein Stück Vinyl, das ich nie persönlich auf einen Plattenteller legen werde. Hinter mir warten ungezählte Compact Discs erfolglos darauf, dass ich sie endlich wieder beachte. Und der Molden im Ohr kommt aus einem weißen Kopfhörer, der nur mindere Tonqualität liefert. Aber es sind große Songs, auch so.
Dieser Artikel erscheint auch auf The European.