Wenn die Grünen tatsächlich zur Volkspartei werden, geht das bequeme Privileg verloren, das Grünsein bisher immer war. Sind Kernwähler wie ich überhaupt bereit dazu?
Beginnen wir mit den Formalitäten: Mit knapp einer Woche Verspätung auch von mir aus Wien herzlichste Gratulation an die Grünen in Baden-Württemberg. Tolle Leistung. Es gewinnen endlich nicht mehr die Falschen. Die Welt ändert sich also doch.
Und wo wir schon beim Verändern der Welt sind: Wird die Welt im Fahrwasser von Baden-Württemberg nun tatsächlich einen Tick grüner, wie es viele Kommentatoren seit einer Woche hoffen? Oder anders gefragt: Reicht ein Wahlsieg für nachhaltige Änderungen in Politik und Gesellschaft?
Das wird sich erst in den nächsten Wochen und Monaten zeigen. Ich neige im Zusammenhang mit den Grünen allerdings schon seit langer Zeit zu Zweckpessimismus. Das hat damit zu tun, dass Grünsein vor allem ein Dilemma ist. Man weiß um die Notwendigkeit von großen Themen wie Energiewende, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit der Verteilung von Einkommen. Und man weiß, dass Atomkraft gefährlich ist, Autofahren keine Zukunft hat und Plastiksackerl weg gehören.
Doch während man sich redlich und ernsthaft darum bemüht, ein paar dieser großen Fragen im Alltag für sich zu beantworten und daraus Konsequenzen zu ziehen, verliert man gerne aus den Augen, wie privilegiert so ein Lebensstil eigentlich ist. Natürlich genieße ich den Luxus, mir so ein Leben leisten zu können. Aber bloß, weil ich auch ein paar ähnlich denkende Freunde habe, mit denen ich bequem unter Gleichgesinnten bleiben kann, ändert das noch lange nichts an der Tatsache, dass wir eine Minderheit sind.
Eine Minderheit, die sich leider auch gerne selbst belügt, indem sie etwa in pittoresk abgewohnte Immigrantenviertel zieht, dort die Mieten in die Höhe treibt und dann nach ein paar Jahren verwundert feststellt, dass die romantische Multikulti-Kulisse verschwunden ist. Aber immerhin, so müssen die Kinder nicht mehr neben Mustafa und Münire in der Schule sitzen, die das Bildungsniveau unserer Kleinen ohnehin bloß empfindlich gedrückt hätten.
So lange die Grünen auch in ihren Wahlergebnissen eine Partei der Minderheit waren, stellte dieses Dilemma kein großes Problem dar. Was aber, wenn die Grünen nicht nur mit einer drohenden Kernschmelze im fernen Japan im Rücken zu einer Volkspartei werden? Dann gehört der nachhaltige und bewusste Lebensstil hinaus in die Gesellschaft getragen. Dann wird am Ende des Monats auf vielen Girokonten weniger Geld sein müssen. Dann geht das bequeme Privileg verloren, das es bisher immer war, grün zu sein. Aufgerieben von den Notwendigkeiten der Tagespolitik, fremdbestimmt statt wie bisher freiwillig, dem Kollektiv statt dem Individuum verpflichtet.
Darum auch der eingangs erwähnte Zweckpessimismus, den kurzfristige grüne Wahlerfolge bei mir immer auslösen. Ich fürchte – durchaus auch unter Berücksichtigung der persönlichen Unzulänglichkeiten – dass die bisherigen Kernwähler der Grünen aus den urbanen Räumen nicht dazu bereit sind, ihre über die Jahre gewachsene Bequemlichkeit und Beschaulichkeit aufzugeben. Aber ich lasse mich selbstverständlich gerne vom Gegenteil überzeugen.
Dieser Text erscheint auch auf dem Debattenportal The European.
Foto: GRÜNE Baden-Württemberg, Lizenz: CC BY-SA 2.0