Nein, ich schwelge nicht in der Vergangenheit, nur weil hier in den vergangenen Wochen schon von Massive Attack und Tricky die Rede war. Und auch nicht, wenn jetzt noch Portishead dazu kommen. Und dann insbesondere noch Geoff Barrow, ein Drittel der Band. Massive Attack, Tricky und Portishead also, die heilige Dreifaltigkeit von Bristol, die Anfang der Neunzigerjahre unabsichtlich dafür gesorgt hatte, dass das Genre Triphop ersonnen werden musste.
Portishead waren ja quasi tot, weil sie ewig lang kein Album veröffentlicht hatten, ehe im Vorjahr „Third“ erschien, ihr – logisch – drittes Werk. Es war sperrig, es war konsequent, und die Sängern Beth Gibbons quälte sich darin von einer Tragödie zur nächsten. Und es zeigte einmal mehr, dass das Trio ohnehin nie für die leichte Muse zuständig war. Ihr Druchbruch 1994 war bloß ein historischer Glücksfall.
Portishead haben jetzt für Amnesty International einen Song aufgenommen. Er heißt „Chase The Tear“. Wer ihn kauft, tut Gutes. Wer ihn dann hat, kriegt Gutes getan. Und wer das ausprobieren möchte, kann sich vorerst mit dem weiter unten eingebetteten Video behelfen. „Chase The Tear“, das stellte sich heute in der Früh heraus, ist der perfekte Song für die U-Bahn – vordergründig wiederholt sich ewig Gleiches, aber dann sitzt einem plötzlich jemand anderer gegenüber. Und irgendwie sieht er so aus, als würde er die Nervosität ebenfalls spüren, die in meinen Kopfhörern sitzt.
Aber egal, denn in Wahrheit ist dieser neue Portishead-Song nebensächlich. Hier soll es vor allem um das Projekt „Beak>“ gehen (hier die Website inklusive Dowload-Link). Der oben bereits erwähnte Geoff Barrow hat dafür zwei Freunde und Kollegen (Billy Fuller und Matt Williams) für zwölf Tage zu sich ins Studio gebeten, um eine Platte aufzunehmen. Die zwölf Stücke dafür entstanden vor Ort, alles wurde live eingespielt, nachträgliche Bearbeitung war verboten.
Sagen wir es so: Lebensbejahend ist es nicht, was in dieser hermetischen Situation an Musik entstanden ist, aber (bis auf ein paar überflüssige Ausreißer) sehr spannend. Wohl nicht nur für mich, denn wer die wohlwollenden Rezensionen zum Projekt liest (etwa hier, hier und hier), wird gleich mal mit klugen Verweisen zu Krautrock und Can belehrt. Das wird schon so sein, ist aber eigentlich wurscht. Ich gehe einmal davon aus, dass darüber während der zwölf Tage in einem Studio in Bristol niemand nachgedacht hat. Hier wurde einfach probiert, was heraus kommt, wenn nicht zwingend Songs entstehen müssen. Das hat eine sehr meditative, bedrohliche Stimmungsmusik ergeben, die sich immer nur alle paar Takte eine leichte Veränderung gönnt. Gesang wird höchstens angedeutet und geht keinem ab – außer man denkt zwischendurch an Portishead. Dann denkt man sich zu Beak> die Klageliederstimme von Frau Gibbons dazu und freut sich der Tatsache, dass nächstes Jahr angeblich noch mehr Songs kommen sollen, die nicht nur dem guten Zweck dienen.
Video: Beak> mit „Iron Acton“
Video: Portishead mit „Chase The Tear“
Portishead – Chase The Tear from Mintonfilm on Vimeo.