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Alle! Von Nine Eleven zum Minarettverbot – in den Nullerjahren lernte der Westen seine kollektive Angst vor dem Islam.

Eigentlich ein Wunder, dass ich das im Spiegel dieser Woche lesen musste: „Die Frage ist, ob Europa noch Europa sein kann, wenn etwa in Österreich im Jahr 2050 wohl die meisten Jugendlichen unter 15 Jahren Muslime sind“, heißt es im Artikel „Angst vor Eurabien„, der ausgehend vom Schweizer Minarettverbot, die kruden Ängste verhandelt, die überall in Europa aufkeimen, wo religiöse Symbole des Islam öffentlich sichtbar machen, dass diese Religion schon längst in der Nachbarschaft angekommen ist.

Und es ist tatsächlich ein Wunder, dass die rechten Populisten des Landes nicht schon längst mit dieser Prognose (der Spiegel verschweigt leider, woher er sie hat) den Teufel in Form des Islamisten an die Wand gemalt haben, der Österreich zuerst mit Feuer und Schwert bekehrt, ehe er die letzten wehrhaften Christen in die Luft sprengt. Aber wir haben nächstes Jahr Wien-Wahl, und da werden wir um diese Zahlenspielerei wohl nicht herum kommen.

Noch dazu, wo sie einen Zeitgeist trifft, der im ausklingenden Jahrzehnt schön wachsen hat können: die Angst vor dem Islam.

Rückblickend lässt sich sagen, dass Nine Eleven wohl die Initialzündung dafür war, dass sich heute absurde Stellvertreterdebatten in Auswüchsen wie dem Schweizer Minarettverbot entladen. Das Attentat aufs World Trade Center in New York, geplant und ausgeführt von fanatischen Islamisten, hat binnen weniger Tage den Islam als Ganzes unter den Generalverdacht gestellt. Jeder, der gen Mekka betet, könnte auch ein Terrorist sein. Jeder, der sich zum Islam bekennt, könnte auch ein Islamist sein. So die Logik hinter der Angst, die seither das Leben im christlich-säkularen Westen prägt.

Und jetzt, wo die elenden Kriege in Irak und Afghanistan, als „War On Terror“ deklariert, das tatsächliche terroristische Potenzial in den betroffenen Regionen vergrößert haben, wird die Angst natürlich noch größer. Wir sitzen mitten in Europa in unseren Häusern und Wohnungen und fürchten uns vor Bärten, Kopftüchern und Minaretten. Wir haben verlernt, mit Religion im Alltag umzugehen. Und es bereitet uns Unbehagen, wenn religiöse Symbole im Alltag auftauchen, die wir nicht verstehen.

Wenn der Islam sichtbar wird, wittern wir Ungemach und kriegen von den rechten Populisten so lange Parallelgesellschaften herbei fantasiert, dass immer mehr daran glauben. Dass es sich bei der Trinker-Community im Bauchstichbeisl unten am Eck möglicherweise um eine viel bedrohlichere Parallelgesellschaft handelt, ist dabei so nebensächlich wie jedes andere Argument.

In dieser unguten Stimmung ist davon auszugehen, dass in jedem EU-Land ein Volksbegehren gegen Minarette genug Befürworter finden kann. Und es ist davon auszugehen, dass sich das in den nächsten Jahren nicht ändert. Barack Obama wird die US-Truppen in Afghanistan bekanntlich um 34.000 Soldaten aufstocken. Der War On Terror geht weiter. Und der bärtige Gemüseverkäufer am Markt ist heute wieder verdächtig gut gelaunt.