Foto: Screenshot, ustream.tvNeue Privacy-Einstellungen bei Facebook und eine perfide Schuldumkehr von Mark Zuckerberg ergeben ein wenig Ärger.

Der „Spiegel“ fürchtet in seiner jüngsten Coverstory die Allmacht von Googles Datensammelei, auf dessen Basis das Unternehmen einen innovativen Dienst nach dem anderen auf die Welt los lässt. Das war zu erwarten, das ist recht klug argumentiert, das ist eigentlich nebensächlich. Spannend war vor allem ein Satz, den ich schon einmal woanders gelesen, aber nun im Spiegel wiedergefunden habe. Er stammt von Googles Vorstandschef Eric Schmidt und geht so:

„Wenn es etwas gibt, von dem Sie nicht wollen, dass es irgendjemand erfährt, sollten sie es vielleicht erst gar nicht tun.“

Da steckt schon viel drin, das sich verachten lässt. Großmannssucht und Zynismus zum Beispiel. Tue nichts böses, dann ist es kein Problem, wenn all dein Handeln öffentlich ist.

In derartiger Nachhilfe in Sachen Moral könnte man allerdings auch eine sehr perfide Schuldumkehr erkennen – eine, die seit vergangenem Wochenende auch in diesem Video zu sehen ist. Darin erklärt Mark Zuckerberg, von Beruf Facebook-Gründer, im Interview mit Mike Arrington von Techcrunch recht lapidar die Beweggründe seines Unternehmens, die Standardeinstellungen zu Privatsphäre auf Facebook zu überarbeiten. Zusammengefasst: Die sozialen Normen haben sich geändert, die Privatsphäre ist tot, also zeigen wir mehr von unseren Usern her – der hierfür relevante Teil beginnt übrigens bei Minute 3:00.

In der Praxis bedeutet das: Wer früher mein Profil auf Facebook aufrief, ohne mein Freund zu sein, fand dort bloß ein Foto, meinen Namen, und die Links, mir eine Nachricht zu schicken oder eine Freundschaftsanfrage zu versenden. Wer dies heute tut, findet folgende Seite vor:

facebook_profil

Diese Seite gefällt mir nicht, weil ich Facebook als halbwegs geschlossenes System nutze, mit Beziehungen, die sich auch in der richtigen Welt nachvollziehen lassen. Das, was nun in einem öffentlichen Profil steht, ist nur für diese Leute bestimmt. Und ich habe noch keine passenden Optionen in den Kontoeinstellungen gefunden, um sie in den früheren Zustand zu versetzen.
Seit der Lektüre dieses Textes von Marshall Kirkpatrick auf ReadWriteWeb weiß ich auch, warum mir diese neue öffentliche Profilseite nicht gefällt. Sie verletzt meine Privatsphäre. Sicher, ich bin Teil eines Social Networks, das von meiner Entblößung lebt. Aber wie ich bei Kirkpatrick lese, hat Facebook mit der plötzlichen Änderung der Privatsphären-Einstellungen die „kontextuale Integrität“ unserer Beziehung gestört. Klingt gespreizt, stammt aber aus der sehr fundierten Senior Thesis eines Studenten namens Chris Peterson zum Thema Facebook (hier als pdf zum Download).

Privatsphäre, referiert Peterson, ist immer von der Situation abhängig, in der wir uns gerade befinden. Beim Arzt ist sie eine ganz andere als im Büro. Zu Hause ist sie eine ganz andere als auf der Straße. Und die jeweilige kontextuale Integrität definiert unser Gefühl für Privatsphäre.

Wer also plötzlich die Privatsphären-Einstellungen seiner Kunden ändert, löst die kontextuale Integrität, die mich bisher auf Facebook begleitete. Und er verletzt damit meine Privatsphäre.
Sicher ist das kein Problem, das allein schon die Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Doch auf die Masse umgelegt zeigt es einen Paradigmenwechsel in der westlichen Gesellschaft, der weit über das hinaus geht, was Eric Schmidt mit einem Hinweis auf die Moral kontert und Mark Zuckerberg als neue soziale Normen abtut.

Erstens könnte die Privatheit im Zeitalter der Vernetzung aller Daten und Informationen tatsächlich das größte Luxusgut werden, das uns noch bleibt. Zweitens gehen bisherige rechtliche Bewertungen von Privatsphäre noch immer davon aus, dass alles was gewollt veröffentlicht wird, auch für die Öffentlichkeit bestimmt ist – eine Auslegung, die aus der prädigitalen Ära stammt, in der das Veröffentlichen Privileg einer Minderheit war, und daher dringender Überarbeitung bedarf. Und drittens muss endlich eine Medienerziehung an Schulen her, der diesem rasanten Wandel Rechnung trägt – eine nicht repräsentative Umfrage unter Lehrern im Bekanntenkreis hat kürzlich nämlich ergeben, dass denen Social Networks, auf denen sich ihre Schüler tummeln, entweder Teufelszeug oder wurscht sind.

Und wenn mir nicht bald jemand sagt, wie ich meine Privatsphäre-Einstellungen auf Facebook wieder in den Urzustand versetzen kann, an dem mir so viel liegt, werde ich echt wütend. Bitte. Danke.