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Jamie Treays alias Jamie T wurde laut Wikipedia im Jahr 1986 geboren. Also wurde er 1993 sieben Jahre alt. Aber warum ist das eigentlich wichtig
?

Ganz einfach: 1993 vermieste mir ein Song den Sommer, und wahrscheinlich nicht nur mir. Es war eine Coverversion, „Twist & Shout“ der Isley Brothers auf ein bisschen Reggae getrimmt. Dahinter stand das Duo Chaka Demus & Pliers, ein DJ und ein Sänger, und Sly & Robbie waren auch mit von der Partie. Eine durchwegs respektable Truppe Jamaikaner also, aber das Lied war eine Pein von Sommerhit, die ich bis vor kurzem vergessen hatte.

Bis dann eben Jamie T kam, schmächtiger Brite mit schiefen Zähnen, der einen Song „Chaka Demus“ taufte. Chaka und Demus. Zwei Worte wie mein Sommer als 18jähriger, den ich nebulos als unangenehm in Erinnerung habe – so wie mit 18 alles eher unangenehm war, aber um das zu begründen, müsste ich jetzt abschweifen und den Faden verlieren.

Mister Jamie T also. Der veröffentlicht gerade sein zweites Album „Kings And Queens“ und „Chaka Demus“, das Lied aus der Referenzhölle, ist die erste Single dazu. Die ist so großartig wie die Gangsta-Persiflage im Video dazu (siehe unten). Und Herr T macht mit anderen Mitteln das, was Herr Beck in den 90ern einmal ganz gut konnte: Alles, und das nur ja nicht perfekt. Oder anders formuliert: Nichts richtig, aber das mit größtmöglicher Hingabe.

Nur ist Jamie T anders sozialisiert, nicht im intellektuellen Künstlermilieu wie Beck, sondern in der stupiden Langeweile von Hochhaussiedlungen. Dort hört man entweder nie mit dem Fernsehen auf, oder man findet etwas, das einem mehr Freude macht. Bei Jamie T war das wohl die Musik, die er hörte, ohne sich über Distinktionsgrenzen groß Gedanken zu machen. So setzt er heute auch seinen Pop zusammen – und um beim Vergleich mit Beck zu bleiben: Wo dieser intellektuelles Gespür fürs Jetzt einsetzte, verlässt sich Jamie T auf seinen Bauch.

Der hat ihm immer schon gesagt, was richtig ist. Der wusste auch, dass es für einen schmächtigen Burschen nicht gesund, auf dem Bahnsteig an die großen Buben zu geraten – im Übrigen eine der präzise beobachteten Geschichten, die Jamie T in seinen Songs erzählt. So wie auch in „Chaka Demus“, wo er von stummen Trinkern im Pub erzählt und nebenbei vom zerbröselnden Empire.

Mit Chaka Demus hat das natürlich nichts zu tun, aber vielleicht ist er für einen der Songs in der Jukebox mitverantwortlich, von denen Jamie T erzählt. Dort würde er gut hinpassen mit seinem unsäglichen Isley Brothers-Cover. In ein Pub, in dem Besoffene darauf stolz sind, dass sie aus England oder gar London sind.

Ja, ich halte Jamie T für einen begnadeten Songschreiber. Heute. Denn ehe jemand im Archiv der Erinnerung stöbert und dort entdeckt, dass ich Jamie Ts Debüt „Panic Prevention“ beim Erscheinen im Jahr 2007 mit sehr abwertenden Worten bedacht habe, gebe ich das lieber gleich selber zu. Das hat sich danach allerdings nicht nur geändert, sondern zur Euphorie gesteigert, die bei Songs wie „Salvador“ bis heute nachwirkt.

So viel also noch zum Zwang der Popkritik, immer sofort eine Meinung zu haben – ein Humbug! Gutes Stichwort übrigens. Das „Humbug“ getaufte neue Album der Arctic Monkeys geht mir so auf die Nerven, dass ich den Geschmack mancher geschätzter Menschen nicht mehr verstehe. Aber wie Jamie T beweist, kann sich das ja noch ändern.

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