Economist-Cover vom 30. Jänner 2010.

Noch ein Text über Apples angebliches Wunderding? Ja, weil es so verdammt wichtig ist.

In der Blogosphäre werden die Exkurse von Frank Schirrmacher (FAZ) zum Web-Leben gerne mit Häme kommentiert. Einer, der spät auf einen fahrenden Zug aufspringt und dabei manchmal wortgewaltig übers Ziel hinaus schießt, ist selbstverständlich ein willkommenes Opfer. So geschah es auch bei seinem jüngsten Text „Apples Macht: die Politik des iPad“. Thomas Knüwer etwa deckte die zahlreichen Fehler seiner Argumentation auf. Oder Rafael Eduardo Wefers Verástegui schalt ihn in seinem Posterous einen „Messias der Internetausdrucker“.

So viel Häme hat Schirrmacher aber nicht verdient. Vor allem deshalb nicht, weil er sich als versierter Feuilletonist immer bemüht, das große Ganze zu denken anstatt sich in Details zu verbeißen. Beides ist wichtig, doch wenn es um die Auswirkungen von neuen Endgeräten wie dem iPad auf die Content-Industrie geht, muss man zuerst das große Ganze erkennen, ehe man die Details für etwaige Geschäftsmodelle ausarbeitet, die darauf basieren. Und damit Ende des Exkurses zu Schirrmachers Ehrenrettung.

Zuerst also das große Ganze, das Web. Es hat sich im vergangenen Jahrzehnt mit durchschlagendem Erfolg zum Mitmach-Web entwickelt. Der meiste Traffic fällt für die Social Networks (hier allen voran Facebook) ab. In diesen Social Networks wird heute ein großer des Traffic für andere Angebote generiert, seien es Links zu Videos, seien es Links zu Texten auf News-Portalen, seien es Links zu kleinen Blogs. Es ist die Coud der User, die für virale Videos sorgt. Es ist die Cloud der User, die den Server eines kleinen Blogs in Bedrängnis bringt, weil ein Post plötzlich den Nerv der Zeit trifft.

Innerhalb dieses Systems taten sich klassische journalistische Angebote (ich nenne sie der Einfachheit halber News) besonders schwer. Was früher an ein Verlagsangebot gekoppelt war (die recherchierte Nachricht, auf Papier gedruckt) ist heute im Moment der Veröffentlichung ein Allgemeingut. Früher wurde über News geredet, heute werden sie als Links in Social Networks verteilt.

Das bringt Verlags-Sites über diesen Umweg zwar Traffic, doch Anzeigenerlöse sind dabei keine möglich. Auch das hat seine Gründe in Geschäftsmodellen, die mittlerweile in Bedrängnis geraten sind. Wie es dazu kommt, erläutert hier Hal Varian (offizielle Job-Description: „Google’s chief economist)“ ausführlich in AdvertisingAge.

Nur kurz zusammengefasst: Aktuelle News, Sport und Wetter sind die Traffic-Motoren im Web. Anzigenumsätze bringen sie keine, denn die werden im thematischen Umfeld von Reisen, Shopping und Elektronik gemacht. Früher (ich bleiben hier beim Beispiel Print) wurden die Themen, die Traffic bringen und die Themen, die Geld bringen, zu einem Produkt gebündelt. Die Leute kauften und lasen wegen ersterem, die Anzeigenkunden inserierten wegen zweiterem, meist Anzeigenumfeld genannt.

Im Web lässt sich das nicht mehr zusammen halten. Die Anzeigenkunden buchen logischerweise lieber auf Shopping-Sites als auf News-Sites, wo kein ernstzunehmender User im Traum daran denkt, ein Banner zu klicken. Für News und auch zusätzliche tiefschürfende Analyse bleibt folglich kein Geld übrig.

Nun hoffen alle auf Endgeräte wie das iPad, um dieses Dilemma endlich aus dem Weg zu schaffen. Sie hoffen auf geschlossene Systeme, die dem über die Jahre tradierten Lifestyle der Digital Natives (Alles ist gratis) einen Riegel vorschieben. Und Verlage träumen plötzlich davon, via Apps digitale Formen ihrer Zeitungen und Zeitschriften zu liefern, die mit zeitgemäßen und interaktiven Inhalten angereichert sind – und endlich wieder ein Anzeigenumfeld schaffen, das sie von früheren Zeiten träumen lässt.

Bloß steckt dahinter möglicherweise wieder ein fataler Denkfehler. Auch mit neuen Geräten wird nichts wie es einmal war. Im Gegenteil: Die Spezialisierung auf Nischen für kleine Zielgruppen prägt auch das Geschäft mit den Apps. Kurz: Niemand braucht eine New York Times-App für den Wetterbericht. Der Zerfall klassischer Verlagsstrukturen ist damit sicher nicht aufzuhalten. Aber es ist der vielleicht beste Zeitpunkt, um über neuartige Medienangebote außerhalb dieser Strukturen nachzudenken. Klein müssen sie wohl sein, mit wenigen Beteiligten auf der Gehaltsliste und damit mit geringen Kosten.

Bleibt die Frage, für welche Zielgruppe. Auf den ersten Blick könnte man davon ausgehen, dass Geräte wie der iPad für die Early Adopters gemacht sind – also für jene, die heute darüber lachen, dass er keine Kamera oder keinen USB-Anschluss hat. Für sie kann er eigentlich nur ein weiteres Spielzeug zum Ausprobieren sein, so wie schon das iPhone, bei dem sich im Übrigen auch niemand daran stößt, dass sein Browser die im Web derzeit unerlässliche Flash-Technologie von Adobe nicht unterstützt.

Die Revolution des iPad anderer Geräte liegt eher darin, dass sie sehr viel nicht können. Und zwar genau das, was die Masse der User ohnehin nicht braucht. Das bedeutet weniger Einstellungen, die zu tätigen sind. Das bedeutet, weniger Fehler zu machen. Das bedeutet, weniger Passwörter und Zugangsdaten zu verlegen. Das bedeutet größtmöglichen Komfort beim Medienkonsum – einen Komfort, für den Menschen möglicherweise auch zahlen wollen, denn er ist im Mitmachweb im Zuge seiner rasanten Entwicklung verloren gegangen. Jede Kulturtechnik, die du dir heute aneignest, ist schon morgen von vorgestern. Und es gibt keinen Anlass zum Glauben, dass sich das in den kommenden Jahren ändern wird.

Wird das iPad ein Erfolg, eröffnet es also einen Massenmarkt. Die Alten werden das Gerät lieben. Die Jungen werden damit aufwachsen. Und die Generation dazwischen wird möglicherweise lernen müssen, dass ihre vom Mitmachweb geprägte Ideologie ihre Halbwertszeit bald überschreiten wird.