Wie tödlich ist die Atomkraft? Befürworter wie Gegner haben dafür viele Daten parat. Jetzt sollten sie bloß noch stimmen.
Raus aus der Atomenergie. Das fordert sich leicht. Das erfordert kein großes Verständnis, sondern bloß die Kenntnis ein paar prägnanter Bilder, von denen es in den vergangenen Wochen genug gab. Und zugegeben: Raus aus der Atomenergie gehört selbstverständlich unterschrieben, wenn es sich auch mit einem Raus aus der Energieverschwendung gleichsetzen lässt. So weit, so prinzipiell.
Trotzdem bekommt die Diskussion um die Atomenergie meist schneller einen schalen Beigeschmack als man die Argumente der einzelnen Parteien hören kann. Die einen glaubt man von vornherein zu kennen – es sind die Vertreter der so genannten „Atom-Lobby“, die des Bösen, Verkommenen, Mörderischen, Verlogenen. Und die Position der anderen unterschreibt man so oder so, weil man schließlich weiß, was man oft genug gesehen hat: Bilder von geborstenen Reaktoren, Bilder von deformierten Kindern, Bilder von den Ruinen der im Jahr 1986 nach einem GAU verlassenen Stadt Tschernobyl.
So weit gehen hier die Vorurteile und wechselseitigen Zuschreibungen, dass keiner mehr merkt, was vor sich geht: Es wird gelogen und verzerrt – und zwar von allen Seiten. Und es braucht gelegentlich gründlich recherchierte Texte wie jene von George Monbiot im Guardian, um auf diesen irritierenden Zustand hingewiesen zu werden.
„The unpalatable truth is that the anti-nuclear lobby has misled us all“ nennt sich das Stück Text, das sich via Twitter und Facebook seit seinem Erscheinen in Windeseile verbreitet hat: „Die bittere Wahrheit ist, dass die Anti-Atom-Lobby uns alle getäuscht hat.“
Nicht, dass Monbiot auf der Payroll der Atomlobby stünde, nein, er erwähnt sogar seine Vorgeschichte in der Antiatombewegung. Aber er hat irgendwann einmal angefangen nach den Belegen für all die Fakten zu suchen, die im Zusammenhang mit Atomkraft und Kernenergie in Diskussionen gerne aus dem Ärmel geschüttelt werden. Am Beispiel der Auswirkungen der Strahlenbelastung nach Tschernobyl kommt er zu einem ernüchternden Schluss: Der Großteil der von respektablen Atomgegnern (er nennt Helen Caldicott als Beispiel) verwendeten Zahlen und Statistiken zu Krebsfällen, Missbildungen bei Kindern und schließlich Todesfällen ist heillos übertrieben und für die eigene Position zurecht gebogen – George Monbiot hat dazu auf seiner Website auch noch zusätzliches Material veröffentlicht.
All das, was wir gerne übermächtigen Lobbys unterstellen, egal, ob es sich dabei um Atomindustrie, Autoindustrie oder sonstwas handelt – also das Vertuschen und Verzerren von Fakten – zelebrieren auch deren Gegner. Und komme mir jetzt keiner mit dem Argument, dass wer auf der richtigen Seite steht, durchaus auch mit den falschen Methoden ans Ziel gelangen darf. Auf der richtigen Seite steht nämlich in der Frage der Atomenergie niemand – das sieht nur in den ersten Wochen nach Katastrophen wie der von Fukushima so aus, weil es einem die Bilder so schrecklich einfach machen, sich zu eachauffieren und alles besser zu wissen.
In Wahrheit war es dem Großteil von uns bis Fukushima völlig egal, wie viele Kernkraftwerke auf dieser Welt in Betrieb sind. Doch jetzt, wo schon alle dazu ihre Meinung haben, hätte ich gerne auch Fakten auf dem Tisch, denen ich trauen kann. Bitte. Danke.
Foto: Udo Springfeld, Lizenz: CC BY 2.0